Reiseblog: Meine Heldenreise – Teil 9

Meine erste Woche in Conil de la Frontera

Da es nur 65 km nach Conil sind, lasse ich mir Zeit.
Der Wind bläst nach wie vor ziemlich kräftig. Ich fahre langsam. Emma bietet dem Levante ordentlich Luftwiderstand und neigt sich abwechselnd nach links und rechts. Unrhythmisch versteht sich. Irgendwo neben einem Sonnenblumenfeld halte ich an und trinke Kaffee.      
Beste Entscheidung Tarifa erst einmal hinter mir zu lassen. Ich werde zurückkommen, wenn´s dort ruhiger ist windtechnisch.
Ich möchte das Centro Historico sehen und ein bisschen bummeln. Tarifa hat den Ruf einmal ein Hippiedorf gewesen zu sein. Ich habe viele alte und selbstausgebaute Wohnmobile dort stehen sehen. Ich mag diesen individuellen Stil sehr. Meine ersten Camper und Wohnmobile waren ebenfalls Selbstausbauten. Ich erinnere mich noch an unser Milkamobil. Ein Mercedes mit einem Wohnwagenaufbau in lila.
Tolle Farbe und unverkennbar.
Die modernen Mobile sehen für mich alle irgendwie gleich aus und ich vermisse manchmal ein bisschen den alle verbindenden Camperspirit von früher. Ich muss grinsen. Ich klinge schon wie meine Oma. „Früher war alles besser“. Vielleicht ist es auch nur meine Wahrnehmung, die auf einigen Erfahrungen der letzten Zeit basiert. Geschmackssache ist es ganz sicher.
Wir gondeln gemächlich weiter. Vorbei an Vejer de la Frontera, dem weißen Dorf auf dem Berg. Der Ort ist bekannt. Er liegt auf einem Hochplateau von dem aus man die Straße von Gibraltar überblicken kann. Der Altort ist komplett von einer Stadtmauer umringt und es gibt viele alte Bauten und Sehenswürdigkeiten. Für heute gebe ich mich damit zufrieden den Ort von der Straße unten zu sehen.
Während der Fahrt, hänge ich meinen Gedanken nach.
Ich denke oft an meinen Vater. Im letzten Jahr hat sich viel für mich verändert. Viele Dinge und Umstände die meinem Leben über Jahre Sicherheit und Struktur gegeben hatten, waren weggefallen. Ohne Vorwarnung. Sein Tod war der Höhepunkt einer Reihe von Ereignissen, die sehr einschneidend für mich waren. Auch wenn das Wort „Loslassen“ mittlerweile ein wenig abgedroschen klingt, kann ich doch sagen, dass es für mich der Prozess schlechthin war und noch ist.
Alles wies auf einen Neuanfang hin. Vorher durfte allerdings vieles alte und bekannte gehen und ich durfte lernen zu Vertrauen. Ohne Wenn und Aber. Ein durchaus schmerzhafter, aber sehr lehrreicher Prozess. Ich lernte einmal mehr, dass das Leben nicht böse ist, sondern mich mit den Ereignissen im Außen lediglich auf eine andere Spur bringen will. Auf meinen Weg. Ich habe das akzeptiert und kann seitdem das Leben viel besser lesen.
In Conil angekommen finde ich den Campingplatz „Los Eucaliptos“ sofort.
Wie der Name sagt, befinden sich auf dem Gelände jede Menge Eukalyptusbäume. Genug Schatten also. Zusätzlich gibt es einen Swimmingpool. Nachdem der Strand ca. 20 Gehminuten entfernt liegt, bin ich davon angetan.
Ich checke ein und suche mir einen Platz im hinteren Bereich.
Ich will wissen, wo die Sprachschule genau ist und hole das Fahrrad vom Träger.
Ich fahre den Weg ab und stelle begeistert fest, dass es nur 5 Min. dorthin sind.                                                                   
Nun darf morgen früh noch alles glatt gehen, dann drücke ich seit Langem mal wieder die Schulbank.
Ich habe in meinem Leben bereits einige Spanischkurse belegt.
Leider hat sich danach nie die Möglichkeit ergeben Spanisch auch zu sprechen. So habe ich letztendlich mit jedem Kurs wieder von vorne angefangen.
Ich stelle meinen Wecker auf 6:30 Uhr.
Der Unterricht beginnt zwar erst um 9:30 Uhr, aber ich will rechtzeitig dort sein. Außerdem brauche ich morgens ausreichend Zeit für mich.
Es fällt mir ein bisschen schwer aus der Koje zu kriechen, aber ich schaffe es. Wenn ich mir überlege, dass meine Tage 20 Jahre lang von morgens bis abends durchgetaktet waren, frage ich mich heute, wie ich das ausgehalten habe. Hamsterrad. Irgendwann funktioniert man einfach nur noch. Was für ein Leben.
Auf dem Platz ist alles ruhig. In Spanien fängt der Tag später an. Ich genieße die Ruhe und meinen Morgen.
Um 9:00 Uhr stehe ich vor der Akademía Atlantika. Auch dort herrscht spanischer Rhythmus.
Es ist niemand da, also warte ich. Um Viertel nach neun taucht Jessica auf und öffnet die Türe. Sie stellt sich vor (sie heißt Jessica) und ich erkläre ihr mein Anliegen. Irgendwann spricht mich eine der Lehrerinnen an um mein Sprachlevel herauszufinden. Es dauert nur drei Sätze. Ich habe echt Probleme mich auszudrücken. Ich komme in A2.
Die Gruppe stellt sich als passend heraus. Bunt gemischt. Von 21 (“Las Niñas”) bis 65 (ein golfspielender Pensionär) ist alles vertreten.
Wir stellen uns der Reihe nach in Spanisch vor, was mir einigermaßen gelingt.
Da ich 20 Std./Woche gebucht habe ist der Unterricht um 13:00 Uhr für mich beendet. Die Zeit ist im Fluge vergangen. Ich habe bereits am ersten Tag viel gelernt und genauso viel gelacht. Es ist sehr kurzweilig. Gefällt mir gut.
An den Nachmittagen und Abenden werden verschiedene Aktivitäten angeboten.
In dieser Woche spricht mich nur eine Stadtführung an.
Auf einen Surfkurs habe ich keine Lust.
Den Nachmittag verbringe ich am Pool und mit Spanischlernen. Wir haben sogar Hausaufgaben auf. Ich erledigen sie gerne und schreibe sie nicht, wie früher, vor dem Unterricht ab. Ein gutes Zeichen.
Die Stadtführung findet am kommenden Abend statt. Wir treffen uns um 19:00 Uhr vor der Akademía.

Eine der Lehrerinnen führt uns 2 ½ Std. durch Conil.
Ich tue mir tatsächlich schwer und verstehe manchmal nur die Hälfte. Ich gebe zu, ich habe die Sprache unter- und meine angesammelten Spanischkenntnisse überschätzt. Ernüchternde Erkenntnis.
Die Tour ist sehr schön und informativ. Ich merke, dass es für mich wichtig ist, einfach nur zuzuhören. Die Sprache in mich einsickern lassen. Es macht großen Spaß und ich erfahre viel.

Conil ist ein wunderschöner kleiner Ort. Ein Pueblo (Dorf), wie ich aufgeklärt werde. Keine Stadt! Es hat rund 22.000 Einwohner. Im Sommer kommen ca. 80.000 Touristen hinzu.

Dass Conil für den Thunfisch (atún) und die besten Tapasbars in Andalusien (vielleicht auch ganz Spaniens) berühmt ist, wusste ich nicht. Alle Restaurants werben damit und meine Mitschüler essen jeden Tag woanders. Unsere Stadtführerin Amarillo weiß sehr viel. Ich kann mir nur die Hälfte merken.
Die Hälfte von dem was ich verstehe.
Eine unserer Stationen ist „La Chanca“, die alte Thunfischfabrik. Dort erfahren wir einiges über die traditionelle Art den atún zu fangen: Die „Almandraba“. Das ist eine spezielle, traditionelle Fangmethode mit Netzen.
Die Küste Cádiz´ ist dafür weltberühmt. Ich kann die Begeisterung nicht teilen. Ich finde es brutal. Die bis zu 3 m langen und ½ Tonne schweren Thunfische werden, sobald sie dem Netz nicht mehr entkommen können, harpuniert.
Ich höre es mir an und sage nichts.
Ein Großteil der Fische wird sofort nach dem Fang nach Japan geflogen wo er auf den Fischmärkten zu unvorstellbar hohen Preisen versteigert wird.
Später erfahre ich, dass die Methode durchaus umstritten ist.
Die Gassen Conils sind ein Augenschmaus.
Kopfsteinpflaster, weiß gekalkte Häuser im maurischen Stil, Blumen, kleine Geschäfte, Bars. Andalusien pur. Ich bin sehr angetan.
Kurz vor 10 sind wir fertig. Mir schwirrt der Kopf und die Füße tun mir weh.
Alles in Allem ein wirklich schöner Abend und Tag. Ich habe viel gelernt.
Die erste Woche vergeht wie im Flug.
An den Nachmittagen gehe ich an den Pool oder auch mal zum Strand. 
Ich merke schnell, dass ich mehr Input brauche, also buche ich am Freitag für die zweite Woche 10 Wochenstunden mehr.
Diese finden am Nachmittag von 13:30 bis 15.00 Uhr in einer kleinen Gruppe von 4 Schülern statt: Conversación.
Wir reden und diskutieren. Genau was ich brauche.
Da ich mir außerdem mehr Austausch und Aktivitäten wünsche, trage ich mich auch gleich noch für alle Abendveranstaltungen der kommenden Woche ein.
Montag Tapastour, Dienstag Fahrradtour, Mittwoch Fiesta bei Andreas, dem Besitzer der Schule, Donnerstag Salsatanzen.
Wenn, dann gscheit.
Zufrieden fahre ich zum Campingplatz zurück.
Morgen bin ich in Barbate verabredet.
Auf dem Platz laufe ich in einen kleinen, dicken Spanier (ich bin 1,86 m groß), der sich mit einem Ford Galaxy Van und seiner halben Wohnungseinrichtung unter einer Plane ebenfalls im hinteren Teil des Platzes eingerichtet hat.
Er beobachtet mich seit Tagen und ich habe kommen sehen, dass er eine Kontaktaufnahme plant.
Er ist sicher nicht verkehrt, aber einfach nicht mein Typ. Hinzukommt, dass er jeden Abend stundenlang vor seinem Fernseher sitzt und Bier trinkt.
Jedem das Seine, aber mein Fall definitiv nicht.
Bisher war es mir gelungen, ihm aus dem Weg zu gehen. Jetzt gibt es kein Entkommen. Er spricht mich an und will mit mir Kaffee trinken. Außerdem erzählt er mir, dass er total beeindruckt davon ist, dass ich alleine ein so großes Wohnmobil fahre und er sei ja auch alleine.
„Ja und?“, denke ich.
Die Situation ist mir unangenehm. Ich winde mich und schaffe es, mich aus der Affäre zu ziehen. Nichts wie weg.
Er wird später vor meiner Abreise noch einmal einen Versuch starten. Ausgerechnet als ich auf Emmas Dach knie und schwitzend eine klebrige Schicht abwasche, die die Eukalyptusbäume dort hinterlassen haben, was ihn sehr beeindruckt. Ich stelle mich dumm. „No entiendo nada.“
Er geht gelassen mit meiner Absage um.
Que bueno.