Reiseblog: Meine Heldenreise – Teil 19

Auf dem Jakobsweg –
Hightech-Pilgern mit Smartphone & E-Bike

Die Zeit bei D. fliegt. Ich bleibe zwei Tage und Nächte.
Wir tauchen ordentlich in die Vergangenheit ein.
Verrückt. Wir kennen uns seit 40 Jahren und wissen so gut wie nichts voneinander. Wir quatschen pausenlos. Es gibt einiges aufzuholen.
Das Leben führt die passenden Menschen auf fast magische Weise zusammen. Es könnte nicht besser getimed sein.
Dass etwas Großes und Veränderndes auf die Menschheit zu kommt ist deutlich spürbar.             
Wer das nicht wahrnimmt, sollte sich unbedingt die Zeit nehmen und genauer hinsehen.
Ich freue mich darauf und bin dankbar und glücklich diesen Weg in Begleitung gleichgesinnter und  lieber Menschen gehen zu dürfen.

D. schlägt vor, dass wir nach Matavenero fahren.
Dort hat sie Anfang der 90er Jahre 8 Jahre verbracht. Auch ihre Tochter wurde dort geboren.
Wenn man Matavenero in eine Suchmaschine eingibt, erscheint eine Vielzahl an Ergebnissen. Von „Ökodorf“ bis „Aussteigersiedlung“ und „internationales Wiederbesiedlungs-Gemeinschaftsdorf“ ist so einiges dabei.
1989 wurde dieses verlassene Bergdorf von Aussteigern und Hippies bezogen. D. kam Anfang der 90er dazu.
Ob ich Lust habe dorthin zu fahren. Dort ist heute Fiesta.
Na klar habe ich Lust!

Der Weg führt entlang des Jakobswegs. Da wollte ich schon lange mal hin.
Meine romantischen Vorstellungen vom einsamen Pilger, der sich asketisch lebend, alleine auf die Reise zu sich selbst begibt, wird beim Anblick der Scharen von Menschen in Multifunktionsbekleidung und Smartphone in der Hand ziemlich erschüttert.   Wir sehen sogar Pilger auf E-Bikes. Manchmal fahren auch Busse den Weg entlang, erzählt mir D..
Als ich vor 20 Jahren Paolo Coelhos Buch „Auf dem Jakobsweg“ las, war ich fasziniert von der Idee diesen Weg eines Tages zu laufen.
Die Vorstellung alleine unterwegs zu sein, nachts unter freiem Himmel zu schlafen und ausschließlich auf mich gestellt zu sein, rief ein Gefühl von Abenteuer und Freiheit in mir hervor.
Beim Anblick dieser Gruppenwanderung bin ich schlagartig ernüchtert.
Wenn ich das meinem Sohn erzähle, wird er enttäuscht sein. Ich weiß, dass auf der Liste der Dinge die er im Leben unbedingt tun möchte, eine Pilgerreise auf dem Jakobsweg steht.
Die Zeiten ändern sich.

Wir biegen von der Hauptstraße ab und fahren ein Stück Piste. D. erzählt mir von den Anfangsjahren in Matavenero. Wie es dazu kam, dass diese Gruppe von Hippies und Aussteigern die damals in Portugal lebte überhaupt auf die Idee kam, sich in diesem verlassenen Bergdorf niederzulassen.

Ohne Straße, ohne Strom, ohne fließendes Wasser, ohne Einkaufsmöglichkeiten, ohne jegliche Versorgung.
Aussteigen aus dem System. Ohne Kompromisse.
Wie mutig.

Wir stellen das Auto ab. Es geht zu Fuß weiter. Man kann das Dorf ausschließlich über einen schmalen Steinweg erreichen. D. berichtet, wie sie mit Pferden und Lastgestellen jedes einzelne Stück auf diesem Steinpfad ins Dorf transportierte.
In der Anfangszeit lebten hier 100 Erwachsene und 50 Kinder. Es gab eine Freilernschule, Lehrer, Handwerker.
Alles wurde per Hand selbst geschaffen und gemeinsam entschieden.

Ich bin fasziniert von ihrer Geschichte.
Sie war damals 20 Jahre alt. Anfangs lebte sie in einer Jurte, die später mit Holzbrettern verstärkt und noch später in ein Haus umgewandelt wurde.
Wir werden es noch sehen (Foto: Kleines, rundes Haus mit Spitzdach).
Dort kam ihre Tochter zur Welt. Die Geburt verlief problemlos. Das war wohl nicht immer so.
Ich lebte zu der Zeit in Jamaika. Auch ich hatte immer Kerzen, eine Kerosinlampe und ein paar Flaschen Wasser vorrätig.
Der Strom fiel mindestens ein Mal am Tag aus und folglich auch die Wasserversorgung. Mein Sohn kam 1994 im Public Hospital in Port Antonio zur Welt. Ohne Arzt, ohne Hygienevorsorge, ohne Bettwäsche.
Bis heute dachte ich, das sei mutig gewesen. Bis heute.

Wir erreichen das Dorf und können von Weitem Musik hören. Jemand spielt Geige und ich erkenne Trommeln. Es ist Sonntag und die Fiesta neigt sich bereits dem Ende. Vor einem Haus sitzen einige Leute und singen. Andere musizieren, manche tanzen dazu.
Wir werden liebevoll und freudig begrüßt. Es ist toll.
Ich kann den Spirit der Gemeinschaft fühlen. Auch wenn die Häuser mittlerweile Solarpaneele besitzen und es ein Wassersystem gibt, nehme ich ganz deutlich den Geist von damals wahr. Anfang der 80er Jahre habe ich eine Zeitlang in der West-Berliner Hausbesetzerszene gelebt.
Das Gefühl damals war ähnlich. Wir waren Pioniere. Wir lebten unsere Ideale. Anders als ein Großteil der Menschen.
Was ist daraus  nur geworden?

Was für ein Geschenk, dass ich all dies erleben durfte.
Wir laufen durch das Dorf. D. trifft immer wieder jemanden den sie von damals kennt. Wir kehren im Chiringuito des Dorfes ein um einen Tee zu trinken. Es ist verrückt. Ich kenne den Besitzer noch aus den 80er Jahren in Würzburg. Was für eine schöne Begegnung.
Wieder einmal schließt sich ein Kreis.
Wir sitzen, trinken Tee, essen Kekse und plaudern. Mitten in der Natur. Um uns herum nur Bäume, Felsen und ab und zu ein Haus. Es ist atemberaubend. Das Dorf liegt am Hang eines Tals. Es ist grün und still und herrlich.

Irgendwann machen uns auf den Rückweg zum Auto.
Der Aufstieg ist steinig und schmal. Oben angekommen laufen wir an einigen alten Wohnmobilen und verlassenen Autos vorbei, bevor wir in unser Auto steigen.
Dann fahren wir zurück. Wieder entlang des Jakobswegs.
Der hat seinen Zauber verloren.
Leben ist Veränderung. Alles ist ständig in Bewegung.

Es gibt andere Möglichkeiten zu sich selbst zu finden.
Meine Reise ist eine davon.
Überflüssig zu erwähnen, dass ich dankbar bin.
Bei D. angekommen holen wir zunächst ihren Hund Lucky ab. Er hat den Nachmittag bei einem von Ds. Freunden verbracht. Dieser Hund ist umwerfend. Ein ganz besonderes Wesen. Ich liebe alles an ihm.
Sein Wesen, seine Nase, seine Ohren.

Am Abend kochen wir. Nach dem Essen sitzen wir mit einer Flasche Rotwein am Kaminofen und reden.
Umringt werden wir von den Tieren. Einigen Katzen und Lucky. Es ist wundervoll.
Was für eine Reise.
Was für einzigartige Begegnungen und Erlebnisse.
Ich weiß, dass ich nicht mehr in mein Leben von vorher zurückkehren kann und will.
Das spielt im Moment keine Rolle.
Es wird sich alles finden und entwickeln.
Das weiß ich.
Morgen geht es weiter nach San Sebastian im Baskenland. Meine letzte Etappe in Spanien.
Danach will ich noch einmal an den Atlantik.
Ich möchte in Frankreich Abschied nehmen vom Meer. Nur für dieses Jahr versteht sich.
Ich mag keine Abschiede. Ich bin schlecht darin.
Ich sage “Auf Wiedersehen” zu D., den Katzen und Lucky.
Wir werden uns bald wieder sehen. Das weiß ich.

 


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